#07 Nicht überall, wo Elektro draufsteht, ist auch Zukunft drin | WHEN IT REALLY MATTERS
Shownotes
E-Mobilität, autonomes Fahren und Shared Mobility: Themen, die die Automobilindustrie seit einigen Jahren von Grund auf verändern. Das Spannungsfeld zwischen Investitionsbedarf und Margendruck führt zu enormen Herausforderungen für die Branche.
Jens Haas ist Managing Director bei Alix Partners, Co-Leiter der Restrukturierungspraxis im deutschsprachigen Raum und seit über 20 Jahren für die Automobilindustrie tätig. Im Gespräch mit Paul Johannes Baumgartner berichtet er von einer „When It Really Matters“-Situation für eine ganze Branche, wie sich Automobilzulieferer neu aufstellen und welche Handlungsoptionen und Strategien es generell für Zulieferer gibt.
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00: 00:00Paul Johannes Baumgartner: E-Mobilität, autonomes Fahren und Shared Mobility – das sind die Themen, die seit einigen Jahren die Automobilindustrie von Grund auf verändern. In unserem heutigen Podcast sprechen wir über Deutschlands scheinbar beliebtestes Thema und eine Branche, die sich im Spannungsfeld zwischen einerseits einem hohen Investitionsbedarf und andererseits einem enormen Margendruck befindet. Ich bin Paul Johannes Baumgartner und wie sich Automobilzulieferer in dieser „When It Really Matters“-Situation neu aufstellen und welche Handlungsoptionen und Strategien es generell für Zulieferer gibt, das weiß unser heutiger Gast. Herzlich Willkommen, Managing Director bei AlixPartners und Co-Leiter der Restrukturierungspraxis im deutschsprachigen Raum und seit über 20 Jahren für die Automobilindustrie tätig. Hallo Jens Haas.
00: 00:47Jens Haas: Hallo Herr Baumgartner, einen schönen guten Tag!
00: 00:49Paul Johannes Baumgartner: Heute geht es also um Automobilzulieferer, eine Industrie, die sich wie kaum eine andere am Scheideweg befindet aktuell. Wie sehen Sie aus Ihrer Erfahrung heraus das Spannungsfeld, in dem sich die Automobilindustrie befindet?
00: 01:03Jens Haas: Das Spannungsfeld ist intensiv. Es sind gewaltige Herausforderungen, mit denen sich die Branche im Augenblick auseinandersetzen muss. Das kann man sich vergegenwärtigen, wenn man einfach mal fünf Jahre zurückschaut, wie da die Situation war. Der gesamte weltweite Automobilmarkt ist seit der Finanzkrise 2009/2010 konstant gewachsen und die Aussichten waren nach vorne raus auch genauso: Man ist damals davon ausgegangen, dass der Weltmarkt, der lag damals bei rund 80 Millionen Fahrzeugen, sich auf rund 100 Millionen Fahrzeuge bis heute erhöhen würde. Tatsächlich sind wir heute immer noch bei rund 80 Millionen. Was ist in der Zeit alles passiert? Die Industrie hat sich bis dahin instrumentell entwickelt. Zu der Zeit hat man dann eben über diese Zukunftsthemen viel diskutiert. Und natürlich war die Frage: Wie viel muss man investieren, welche Trends kommen, wie schnell? Das war alles da. Und dann sind Jahr für Jahr Dinge passiert, mit denen niemand gerechnet hätte. 2018/2019 ist der ewige Wachstumsmarkt China plötzlich zurückgegangen, 2020 die Coronakrise, mit der wirklich niemand gerechnet hätte, die nicht nur die Automobilbranche, sondern die ganze Welt zum Stillstand gebracht hat. Die Erwartungen für den Automobilmarkt sind extrem zurückgegangen und dann kam das ja gar nicht so schlecht. Was dann aber auch dazu geführt hat, dass im Folgejahr 2021 plötzlich ein Mangel an Halbleitern bestand. Nicht nur deswegen, weil zu wenig bestellt wurde, sondern auch, weil ein Werk gebrannt hat wegen Unwettern in Texas und so weiter. Aber man hatte wieder eine Disruption, einen völlig unerwarteten Effekt auf die Branche, der wiederum dazu geführt hat, dass nicht so viel produziert werden konnte, wie erwartet wurde. Jetzt hat man den Chipmangel angegangen und die Hoffnung bestand, dass sich das langsam herauswächst und stabilisiert. Und jetzt sehen wir geopolitische Ereignisse, mit denen wiederum niemand gerechnet hätte. Also ich will nicht prophezeien, dass nächstes Jahr wieder was Unerwartetes kommt, aber ausschließen kann man das in der heutigen Zeit nicht.
00: 02:44Paul Johannes Baumgartner: Was bedeutet diese Disruption im konkreten Fall für die Unternehmen?
00: 02:48Jens Haas: Da muss man unterscheiden zwischen den Herstellern, den OEMs, und den Zulieferern. Die Hersteller konnten mit diesen Effekten bisher sehr gut umgehen, schlichtweg deswegen, weil sie die Nachfrage nicht bedienen konnten. Und immer, wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, ist es gut für den, der verkauft. Der muss keine Rabatte mehr geben und kann sich auf die Produkte konzentrieren, mit denen er die höchste Marge macht. Also in dem Fall eben die Fahrzeugmodelle mit den höchsten Margen wurden dann eben den anderen vorgezogen. Anders sieht es aus bei den Zulieferern, die diesen Wind, diesen Gegenwind komplett abkriegen. Die Frachtkosten sind durch die Verwerfungen in der Coronakrise schon durch die Decke gegangen, beispielsweise die Containerraten zwischen Asien und Europa. Die Rohstoffkosten sind nach oben gegangen und jetzt durch die Ukrainekrise und andere geopolitische Fragezeichen gehen die noch weiter durch die Decke. Und das gleiche gilt natürlich für die Energiekosten. Sprich, die Kosten gehen durch die Bank nach oben und können zumindest nicht kurzfristig und wenn auch nur zum Teil an die Hersteller weitergegeben werden. Das bleibt bei den Zulieferern hängen. Gleichzeitig ist man im operativen Krisenmanagement aufgrund der Verwerfungen in der Lieferkette. Es geht darum, Teile schnell und kurzfristig zu besorgen. Es geht darum, auf sich ständig wandelnde Pläne und Abrufe der Hersteller reagieren zu können und so weiter und so fort. Und das vor all den Themen, die vor fünf Jahren, wie wir gerade gesagt hatten, noch ganz oben auf der Liste standen – die langfristigen Themen, Investitionen in die Zukunft.
00: 04:12Paul Johannes Baumgartner: Erst wenn man über die Transformation in der Automobilindustrie spricht, dann kommt man immer schnell auf diejenigen Zulieferer zu sprechen, die stark vom Verbrennungsmotor abhängig sind. Sind das heute schon alles Fälle für Sie? Sind das die aktuellen Restrukturierungsfälle?
00: 04:28Jens Haas: Das ist so ein Irrglaube, den man oft in der Öffentlichkeit hört. Aber das sind langfristige Trends, von denen wir sprechen. Ein Unternehmen, das heute in der Restrukturierung ist, das hat andere Probleme. Das mag auch schlecht aufgestellt sein für die Zukunft, aber weil der Marktanteil von Elektrofahrzeugen in den letzten Monaten in Europa und in anderen Regionen angestiegen ist, sind die noch nicht automatisch Restrukturierungsfälle. Wir arbeiten für viele dieser Unternehmen auch in Restrukturierung Situation, aber auch sehr stark in Bezug auf die Frage, wie sich diese Unternehmen für die Zukunft aufstellen. Und dieses Wissen hilft uns aber auch in akuten Restrukturierungssituationen.
00: 05:03Paul Johannes Baumgartner: Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen? Wie sieht denn so eine typische Restrukturierungssituation eines Zulieferers aus? Was treibt diesen vor allen Dingen auch in die Restrukturierung?
00: 05:13Jens Haas: Wie viel Zeit haben Sie mitgebracht, Herr Baumgartner? Ich versuche, einige Beispiele zu nennen. Es gibt eine Vielzahl von Ursachen. Es gibt praktisch nie nur die eine Ursache, die so einen Zulieferer dann in eine Schieflage bringt. Klassische Faktoren, die wir sehen – beginnen wir auf der Umsatzseite: Da wurden Aufträge in der Vergangenheit bewusst mit geringen Margen in Kauf genommen oder angeboten, mit dem Ziel, sich in einem neuen Segment zu positionieren, beim neuen Kunden Marktanteile zu gewinnen. Häufig ist es auch so, dass die Transparenz gefehlt hat und man bewusst einzelne Entscheidungen getroffen hat, aber in Summe sich das Ganze nicht mehr rechnet, während gleichzeitig die Kosten außer Kontrolle geraten sind. Wir sehen häufig, dass man Restrukturierungen nicht rechtzeitig genug angegangen ist. Wettbewerber haben schon frühzeitig nach Osteuropa und an andere Standorte verlagert. Und der Zulieferer, den wir uns jetzt gerade vorstellen für die Restrukturierung, hat das eben häufig nicht getan und ist damit auf der Kostenseite nicht wettbewerbsfähig, was dazu führt, dass er entweder Aufträge nicht gewinnt oder eben diese mit Verlusten oder sehr geringen Margen und nicht mehr kostendeckenden Margen in Kauf nehmen muss. Nicht selten sehen wir – das ist erstaunlicherweise so ein klassisches Bild bei größeren Zulieferern – eins, zwei nennen wir es mal Problemwerke. Das eine Werk in den USA, das seit Jahren negativen Cashflow hat, wahnsinnig viel operative Probleme hat und einfach nicht zurückkommt in die Profitabilität und das das Unternehmen sehr beschäftigt. Oft würden Kostenerhöhungen nicht an die Hersteller weitergegeben. Und, dann sind wir wieder bei den Zukunftsthemen, es wurde viel Geld versenkt in Investitionen in die Zukunft, die sich dann als die falschen Investitionen herausgestellt haben. Das können sein: Technologien, bestimmte Standorte, aber auch ganze Unternehmenskäufe, die häufig oder manchmal zu teuer erfolgt sind und dann entsprechend die Kapitalstruktur des Unternehmens belasten. Das sind die inhaltlichen Ursachen. Und was finden wir vor? Wir finden eine hohe Verunsicherung vor. Je nachdem, in welchem Stadium der Restrukturierung oder der Existenzbedrohung wir in das Unternehmen kommen. Sie haben die die Hersteller, also die sogenannten OEMs, die sich sorgen um die möglichen Lieferausfälle und das Risiko von Produktionsstillständen in den Herstellerwerken. Die Lieferanten liefern nur noch gegen Vorauskasse im schlimmsten Fall. Und die Mitarbeiter sorgen sich um ihre Arbeitsplätze. Und dann ist häufig auch noch die Liquidität knapp und alle fragen sich: Wie kann man dieses Unternehmen retten? Wie kann man weiter unterstützen? Und dann braucht es einen Restrukturierungsplan, der plausibel ist, der von allen Stakeholdern mitgetragen werden kann. Und dann sind wir wieder dabei: Man braucht eine überzeugende, langfristige Perspektive. Wie kann das Unternehmen in vier, fünf Jahren in dem sich ändernden Wettbewerb noch bestehen?
00: 07:51Paul Johannes Baumgartner: Lassen Sie uns etwas tiefer über den Fall einer akuten Restrukturierungssituation sprechen. Der Zulieferer befindet sich in einer existenzbedrohenden Situation, ein Thema, das man immer wieder in den Medien liest. Wie genau gehen Sie vor, wenn Sie zur Unterstützung ins Boot geholt werden? Was gehen Sie zuerst an?
00: 08:09Jens Haas: Das Wichtigste am Anfang ist, erst mal Ruhe reinzubringen. Wie eben erwähnt, kommt man in eine Situation der Unruhe. Es gibt viele um das Unternehmen herum, die Stakeholder, die verunsichert sind, und häufig sind diese auch, ich will mal sagen, nicht gut koordiniert gewesen. Das Stakeholder Management ist mit eine Aufgabe des Restrukturierungsberaters, sprich alle Beteiligten im Unternehmen an einen Tisch zu bringen und zum Teil der Lösung zu machen und dafür zu sorgen und diese zu überzeugen, dass sie die Restrukturierung unterstützen. Nur um die Restrukturierung unterstützen zu können, braucht es einen Plan. Man muss wissen, wo es hingeht. Wenn wir kommen, ist dieser Plan entweder nicht da und muss neu erstellt werden, oder es fehlt der Glaube an diesen Plan. Und dieser Plan muss erst einmal begutachtet und verfeinert werden, damit er eine Basis sein kann für die langfristige Restrukturierung. Die erste Priorität neben dem Ins-Boot-Holen aller Stakeholder ist der Blick auf die Liquidität. Wie lang reicht die Liquidität noch? Reicht das Geld für diese Phase mindestens, die wir brauchen, um diesen Plan zu erstellen, um dann strukturiert, faktenbasiert diskutieren zu können, wie wir das Unternehmen wieder retten und auf die Beine stellen können. Wie viel Liquidität ist vorhanden? Weiß man überhaupt, wie viel vorhanden ist? Auf welchen Konten liegt das Geld? Ist dieses Geld überhaupt zugreifbar? In der schwierigsten Situation besteht dort noch nicht mal Transparenz. Und dann setzen wir in sehr kurzer Zeit Liquiditäts-Forecast, also Liquiditätsprognosen auf Wochenbasis auf, typischerweise für 13 bis 17 Wochen, um klare Transparenz zu haben, dass die nächsten Wochen auf der Liquiditätsseite abgesichert sind. Für diese Phase redet man häufig von Standstill-Vereinbarungen, also salopp gesagt: eine Vereinbarung, dass alle mal die Füße stillhalten, keine Kredite fällig stellen oder ähnliches machen, um dem Unternehmen und uns gemeinsam die Zeit zu geben, einen Plan zu entwickeln, den wir dann gemeinsam mit den Stakeholdern diskutieren können.
00: 09:59Paul Johannes Baumgartner: Also, wenn es Ihnen dann gelungen ist, die Situation so zu stabilisieren, wie geht es dann in Ihrer Arbeit weiter?
00: 10:05Jens Haas: Das ist kein ‚Dann‘, das ist eher ein ‚Parallel‘. Es gilt, schnell und konsequent Transparenz zu schaffen. Transparenz darüber: Wie groß ist eigentlich das Problem, das gelöst werden muss? Was sind die Krisenursachen? Und aus den Krisenursachen abgeleitet: Was sind die Verbesserungspotenziale auf Basis der operativen Ausgangssituation? Warum ist diese Berechnung der Baseline, des Absprungpunkts so wichtig? Häufig finden Sie in allen Unternehmen und insbesondere den Riesenunternehmen Finanzzahlen, die die Situation eigentlich besser darstellen, als sie tatsächlich ist. Und da gilt es, rigoros und konsequent alles auf den Tisch zu bringen und diese sogenannten Einmal-Effekte zu bereinigen. Um ein klares Bild zu haben: Wie ist die operative Performance des Unternehmens tatsächlich? Und wenn Sie das wissen und eine ungefähre, sagen wir mal, wettbewerbsübliche Zielrendite haben, dann wissen Sie, wie weit der Restrukturierungsplan gehen muss, wie weit die Ergebnisverbesserungen sein müssen und wie viele Maßnahmen definiert werden müssen – das ist dann die sogenannte Ergebnislücke, die gefüllt werden muss. Da hilft übrigens auch oft der Blick auf die Liquidität. Während im Accounting, im Rechnungswesen dann doch manche Wahlrechte bestehen: Geld lügt nicht und Zahlungsströme zu verfolgen ist dann immer sehr aufschlussreich. Im nächsten Schritt geht es darum, die Krisenursachen zu verstehen. Was hat das Unternehmen dazu geführt, dass es in dieser Situation ist? Wir hatten vorhin ja schon darüber gesprochen, was so klassische Krisenursachen sind, die brauche ich jetzt nicht wiederholen. Was an der Stelle wichtig ist: dass das Management komplett mit im Boot ist und auch den Veränderungswillen hat und den Handlungsbedarf sieht. Und das ist unsere Aufgabe, auch als Restrukturierungsberater, da eng mit dem Management zusammenzuarbeiten und auch die Brücke zu bauen zu den Kapitalgebern. Für das Management ist es oft ungewohnt. In der Vergangenheit hat man beispielsweise bei den Banken eher mit den vertriebsorientierten Bankern zusammengearbeitet, die großes Interesse an der Zusammenarbeit hatten. Und jetzt sind die sogenannten Work-Out-Abteilungen im Boot, also diejenigen Abteilungen bei den Banken, die sich um die schwierigeren Fälle kümmern. Und die sind nicht als Bedrohung zu sehen, sondern die sind sehr hilfreich, weil die eben wissen, wie man in diesen Situationen handeln muss. Aber sie haben auch andere Erwartungen an das Management und das ist das Management aus der Vergangenheit selten gewöhnt. Um einen Plan zu erstellen, gilt es natürlich zu sehen: Wie ist die Ausgangslage? Also nicht nur auf der Finanzseite, sondern was finden wir operativ vor? Und da könnten wir jetzt wahrscheinlich Stunden füllen. Das hängt auch stark zusammen mit den Krisenursachen, die wir vorhin erwähnt haben. Aber was schauen wir uns beispielsweise an? Wir schauen uns das Produktportfolio an: Welche Produkte werden verkauft, in welchen Segmenten, zu welchen Margen? Womit wird Geld verdient, wo wird Geld draufgezahlt? Die Analyse ist dann oft ein echter Eye-Opener, wenn man die Transparenz mal in einem Portfolio darstellt, wie mit wenigen Produkten Geld verdient wird. Die Produktionsstandorte, wir hatten es vorhin schon erwähnt. Wir schauen uns den sogenannten Manufacturing Footprint an, also in welchen Werken, an welchen Standorten wird zu welchen Kosten produziert und wie sieht das auch im Wettbewerbsvergleich aus? Nach vorne gerichtet – das eine ist ja zu verstehen: Wo steht das Unternehmen heute? Das andere ist die Frage dann nach vorne gerichtet: Wie sieht die Umsatz-Pipeline aus? Bei einem Zulieferer da können Sie schon sehr genau nach vorne schauen. Das ist nicht wie im Retail, wo Sie morgens den Laden aufmachen und dann schauen, wie viel kommen denn heute? Sondern man hat sehr langfristige Verträge mit den Automobilherstellern. Man weiß, in welchen sogenannten Plattformen, also in welchem Fahrzeugmodellen man präsent ist und kann auf Basis dieser Information sehr plausibel und sehr konkret planen, wie sich der Umsatz in Zukunft entwickelt. Wenn nicht eine dieser Disruptionen natürlich wieder kommt, sprich man muss auch hier mit Szenarien arbeiten. Das ist das eine, welcher Umsatz ist schon in den Büchern? Die andere Frage ist, wo ist man im Augenblick, in konkreten Verhandlungen, in konkreten Gesprächen mit Herstellern über zukünftige Aufträge? Und wie viel des Umsatzplans für die folgenden Jahre ist eigentlich noch Hoffnung oder Erwartung, Marktanteile von anderen gewinnen zu können? Viele Diskussionen in der Phase gehen um die Kompetenzen des Unternehmens. Was wird entwickelt, in welche Zukunftsprodukte wird entwickelt? Da sind wir wieder beim Thema Elektro, autonomes Fahren: Ist man dort vertreten, muss man aber nicht unbedingt sein. Wenn jemand heute im Bereich Innenverkleidung ist, dann tangiert das den nicht. Also es kommt sehr auf die Situation an, nicht das gleiche gilt für alle. Um es zusammenzufassen: Wir durchpflügen das komplette Unternehmen, um Verbesserungspotenziale zu finden.
00: 14:26Paul Johannes Baumgartner: Und am Ende steht ein Plan.
00: 14:28Jens Haas: Am Ende steht ein Plan.
00: 14:29Paul Johannes Baumgartner: Und das ist Ihnen auch in der Zusammenarbeit, glaube ich, wichtig mit den Unternehmen: Es darf nicht der Beraterplan sein, sondern es muss der Unternehmensplan sein.
00: 14:38Jens Haas: Das ist ein sehr, sehr wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Der ist mir auch persönlich sehr wichtig. Wenn ich in einer Situation wäre und ich höre, man spricht vom AlixPartners-Plan, dann frage ich mich: Was haben wir falsch gemacht? Das muss der Plan des Unternehmens sein. Das Unternehmen muss dahinterstehen. Das Unternehmen muss sich vor die Banken stellen, vor die Stakeholder, vor die Lieferanten. Das Management muss sich vor die Mitarbeiter stellen und sagen: Das ist der Weg, den wir gemeinsam gehen. Und wir als Management gehen voran. Das darf kein AlixPartners-Plan sein.
00: 15:05Paul Johannes Baumgartner: Der eine oder andere von unseren Zuhörern kennt vielleicht noch die TV-Serie „The A Team“. Und da hat John Hannibal Smith – das ist der Mann mit der Zigarre – immer gesagt: Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert. Was muss ein Plan konkret haben in Ihrer Arbeit mit Automobilzulieferern, Restrukturierung, damit er auch wirklich funktioniert?
00: 15:26Jens Haas: Wir hatten das Thema Buy-In des Managements angesprochen. Der muss der Plan des Unternehmens sein. Er muss in der heutigen Zeit flexibel genug sein, um auf Veränderungen reagieren zu können. Das heißt, ein statischer Plan nach vorne raus alleine reicht nicht. Man muss in Szenarien denken, in Optionen denken und Szenarien helfen zum einen, um den Raum aufzumachen, und idealerweise funktioniert eine Restrukturierung auch dann, wenn man auf dem eher pessimistischen Szenario landet. Und eine solche Denkweise, Herangehensweise hilft auch, flexibler zu reagieren, wenn es Ereignisse gibt, die man vorher zum Planungszeitpunkt nicht antizipiert hat. Ich würde einen Punkt noch aufnehmen: Der Plan ist eigentlich nicht das Ende. Eigentlich ist der Plan der Anfang. Der Plan ist Papier und der Plan ist extrem wichtig, damit alle das gemeinsame Verständnis haben und auch mit unterschreiben können und diesen Plan mittragen können. Aber wenn Sie dann aufhören, dann haben Sie eigentlich gar nichts erreicht. Dann haben Sie Papier und in einem Jahr treffen sich alle wieder und die Situation hat sich nicht verändert. Die Umsetzung, um die geht es. In praktisch allen Situationen, in denen wir gemeinsam mit dem Unternehmen den Restrukturierungsplan erstellen, sind wir bei der Umsetzung auch dabei. Wir arbeiten dort eng mit allen Beteiligten. Die externen Stakeholder, die Banken, erwarten auch ein regelmäßigen Fortschrittsbericht. Da wird berichtet, was passiert. Wichtig ist, dafür zu sorgen im Unternehmen, dass es passiert. Das zeichnet übrigens auch die Leute von AlixPartners aus: Wir können diese Pläne erstellen, aber wir haben sehr viel Spaß an der Umsetzung. Und wenn wir einen Plan erstellen, dann haben wir die Umsetzung auch schon im Kopf, also praxisgetrieben und nicht nur rein theoretisch.
00: 17:02Paul Johannes Baumgartner: Typische Maßnahmen in diesem Plan sind dann zum Beispiel?
00: 17:07Jens Haas: Querbeet durch: Das betrifft das Produktportfolio, das betrifft die Kostensituation, die Standorte. Häufig reden wir auch über strukturelle Maßnahmen. Ich hatte einen Zulieferer, der hatte einen Bereich. Das war ein wunderbarer Bereich, das war sozusagen das Juwel des Unternehmens. Letztendlich, nachdem wir die Situation durch und durchdiskutiert hatten, hat sich aber herausgestellt: Um den Rest des Unternehmens retten zu können, musste diese Perle verkauft werden. In anderen Situationen ist es so, dass man versucht, eher das Problemfeld abzuschneiden und zu verkaufen. Das ist der kurzfristige, kurz- bis mittelfristige Maßnahmenkatalog. Dann, wie vorhin schon angesprochen, ist natürlich die Frage: Wie sieht die Zukunft aus? Dieser Blick auf die nächsten vier, fünf Jahre, der ist in diesen Situationen wesentlich wichtiger geworden in den letzten Jahren als vor zehn Jahren noch, als die Industrie sich instrumentell entwickelt hat. Dann hat man gesehen: Es gibt einen Restrukturierungsbedarf. Es gibt diese Erkenntnislücke, die kann man schließen und dann ist man davon ausgegangen, das Unternehmen existiert weiter. Die Frage, die heute viel, viel wichtiger ist, ist diese: Wird das Unternehmen in vier, fünf Jahren wettbewerbsfähig sein? Wird es in der Lage sein, Kredite zu tilgen oder sich neu zu finanzieren?
00: 18:17Paul Johannes Baumgartner: Elektromotor versus Verbrennungsmotor: In so einem Restrukturierungsplan steht dann, dass diejenigen Unternehmen, die Komponenten für das Elektrofahrzeug liefern, besser aufgestellt sind?
00: 18:32Jens Haas: Nicht zwangsläufig, wenn das so einfach wäre. Also nicht überall, wo Elektro draufsteht, ist auch Zukunft drin. Es kommt ja auf die Situation an. Erst mal, wie gesagt, es gibt viele Restrukturierungsfälle, die sind völlig unabhängig vom Antriebsstrang. Da haben wir das Thema gar nicht. Schauen wir uns dann einen Zulieferer an, auf den Sie ja sicherlich gerade rauswollen, der heute sehr stark im Verbrenner aktiv ist. Dann ist es erst mal positiv, wenn er Potenzial hat oder sich sichtbar bereits Richtung Elektromobilität entwickelt hat und dort ein entsprechendes Portfolio anbieten kann. Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass dieser Markt kleiner ist als der bisherige Verbrennermarkt und extremer Wettbewerb besteht und nicht alle werden dort überleben können, nicht alle werden dort profitabel sein können. Und warum ist das so? Der Markt ist stark umkämpft. Es gibt auch neue Spieler, die in diesen Markt reinkommen, also neue Wettbewerber, entweder andere Zulieferer oder aus dem Elektronikbereich, die in diesen Markt reinwollen. Und dann, wenn Sie sich einen Elektromotor vorstellen, wenn wir jetzt bildlich vor uns hätten: Ein Verbrennermotor hat rund 500 Teile und ein Elektromotor sagen wir mal rund ein Sechstel, ein Fünftel. Wir reden da von 250 Teilen, 300 Teilen, also wesentlich weniger Teile, die gebraucht werden. Und last but not least ist es so, dass in den augenblicklichen Fahrzeuggenerationen, also wenn Sie heute Morgen mit dem Elektrofahrzeug zu uns auf den Weg waren, dann waren da noch sehr viele Teile von Zulieferern da drin; während hingegen bei den nächsten Fahrzeuggenerationen, die im Augenblick ausgeschrieben werden oder in jüngster Zeit ausgeschrieben wurden, wieder wesentlich mehr inhouse bei den Herstellern produziert wird. Warum? Da sind zwei Punkte: Zum einen die Auslastung der Kapazitäten und natürlich auch die Stärke der Betriebsräte, um die Mitarbeiter auszulasten. Zum anderen gibt es auch bestimmte Bereiche, in denen man auch das Knowhow im Haus behalten will. Also, wir haben weniger Teile, es gibt mehr Wettbewerb, die Hersteller machen mehr intern. Sprich der Markt ist gar nicht groß genug, damit alle Zulieferer, die heute Verbrennerkomponenten herstellen, dazu künftig dabei sein können. Und wozu führt das? Es gibt einen hohen Wettbewerb. Jeder möchte sich positionieren. Das führt zu geringeren Margen. Das führt zu Preisdruck. Das heißt, auch wenn Sie in einem Businessplan einen Anstieg an Elektrokomponenten sehen, dann müssen Sie kritisch hinterfragen – das ist natürlich unsere Aufgabe dann auch –, ob die Margen, die in dem Plan angenommen sind, auch wirklich realistisch sind und realistisch erzielt werden können.
00: 20:53Paul Johannes Baumgartner: Was diskutieren Sie denn mit denjenigen Unternehmen, die heute keine Restrukturierungsfälle sind, die aber stark vom Verbrenner abhängig sind? Worum geht es da?
00: 21:03Jens Haas: Es kommt darauf an, neue Standbeine zu finden. Und es gibt unterschiedliche Strategien. Es gibt nicht die Antwort für alle. Wir sehen Zulieferer – ich habe es ja eingangs erwähnt – wir arbeiten für viele von diesen oder mit vielen zusammen, die heute keine finanziellen Probleme haben, die keine Restrukturierungsfälle sind. Aber es gibt ganz unterschiedliche Wege für diese. Was wir häufig diskutieren, ist eine Cash-Out-Strategie. Das ist ein Stück weit eine Wette darauf, dass der Verbrenner jetzt so schnell auch nicht verschwinden wird. Und das wird er auch nicht. Es wird eine jetzt mittlerweile beschleunigte, aber es wird eine Transformation zum Elektrofahrzeug geben. Das passiert aber nicht von heute auf morgen. Der Verbrenner wird immer noch eine Daseinsberechtigung über viele Jahre haben und es kann für einen Zulieferer durchaus Sinn machen zu sagen: Darauf setzt man, man ist gut positioniert, man ist in den richtigen Antriebsstrang der OEMs vertreten, die noch viele Jahre produziert werden, und dann einfach das Geschäft weiterlaufen zu lassen, die Neuentwicklungen gehen zurück, die Investitionen gehen zurück, es wird weniger investiert; das meinte ich mit der mit der Cash-Out-Strategie. Und auch wenn es zum Rückgang zwangsläufig kommen wird der Auslastung, kann der geringere Personalbedarf eigentlich durch Verrentung und natürliche Fluktuation ausgeglichen werden. Aber das ist schon eine logische Herangehensweise, die für den einen oder anderen durchaus passen kann. Andere Alternative ist der Verkauf des gesamten Unternehmens oder für Zulieferer, die eben nicht nur komplett im Verbrenner sind, sondern bei denen der Verbrenner eins von mehreren Geschäftsfeldern ausmacht, ein oder zwei: der Carve Out, die Trennung des Verbrennergeschäfts vom Zukunftsgeschäft, von den anderen Business Segmenten, und das dann entweder mit dem Ziel wieder der Veräußerung oder um das Ganze in einen Joint Venture einzubringen – das sehen wir auch oft und wird häufig diskutiert – oder zumindest auch für den Fall, dass man das Geschäft weiter betreiben möchte, um sicherzustellen, dass falls es sich doch schlechter entwickelt, dass das Zukunftsgeschäft rechtlich, finanziell, operativ sauber getrennt ist, damit das Zukunftsgeschäft nicht negativ beeinflusst wird. Und was wir im Augenblick durchaus sehen, ist ein starkes Interesse, von bestimmten Investoren, in den Automobilbereich zu investieren. Das ist eine Mischung. Da gibt es eher strategisch Orientierte, die konsolidieren wollen, also mehrere Zulieferer zusammenkaufen, um Synergien zu schaffen, auch die Verhandlungsposition gegenüber den Herstellern zu verbessern. Und es gibt andere, die schlichtweg die Wette eingehen, dass der Verbrenner nicht so schnell verschwinden wird und eher Unternehmen übernehmen, um dann diese beschriebene Cash-Out-Strategie zu verfolgen.
00: 23:34Paul Johannes Baumgartner: Deutschlands beliebtestes Thema: das Auto beziehungsweise die Automobilindustrie und damit verbunden selbstverständlich die Zulieferindustrie. Auch in Zukunft ein spannendes Thema. Die erfolgreiche Restrukturierung von Unternehmen aus der Automobilzulieferbranche – wir haben gesprochen über Margendruck, hohen Investitionsbedarf. Hinzu kommen geopolitische Verwerfungen, unterbrochene Lieferketten und eine starke Abhängigkeit von China. Es ist ein Spannungsfeld, aber es gibt ja Gott sei Dank Lösungen. When It Really Matters – so gelingt es mit der Restrukturierung dieser Unternehmen. Wir haben gesprochen mit dem Managing Director bei AlixPartners und Co-Leiter der Restrukturierungspraxis im deutschsprachigen Raum. Vielen herzlichen Dank, Jens Haas.
00: 24:12Jens Haas: Vielen Dank, Herr Baumgartner, für die perfekte Zusammenfassung.
00: 24:15Paul Johannes Baumgartner: Ich habe gut aufgepasst.
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